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Kurzgeschichte

Mehr als nur ein Kuss

  • Anana Schöne, Klasse 9c, Kreisgymnasium Hochschwarzwald & Titisee-Neustadt

  • Fr, 07. Juni 2019, 00:00 Uhr
    Schülertexte

     

Hope ist sich sicher, dass es die Liebe auf den ersten Blick gibt. Anana Schöne, Schülerin der Klasse 9c des Kreisgymnasiums Hochschwarzwald, hat eine Kurzgeschichte über die Liebe geschrieben.

Auf dem Fahrrad ins Liebesglück  | Foto: ©Naturestock  (stock.adobe.com)
Auf dem Fahrrad ins Liebesglück Foto: ©Naturestock  (stock.adobe.com)
"Hallo Hope, hast du mir überhaupt zugehört?" Ich blicke auf. "Mhhm. Klar hab ich." "Nein, hast du nicht" sagt sie keineswegs verärgert. Allie ist seit dem Kindergarten meine beste Freundin. Also na ja, nicht ganz. Eigentlich konnten wir uns nicht ausstehen und haben uns die ganze Zeit geärgert. Einmal habe ich ihr einfach eine Murmel in die Nase gestopft und sie hat mich daraufhin bei unserer Kindergärtnerin angeschwärzt. Als der Notarzt die Kugel irgendwann mal ausgequetscht hatte, wollte Allie sie unbedingt behalten, weil sie sie so schön fand. Anscheinend war das Grund genug für sie, mir zu verzeihen. Wir waren wohl ganz schön verkorkste Kinder. Seitdem sind wir zusammen auf die Elemantary, Middle and High School gegangen. Nichts und niemand konnte uns trennen. Nicht einmal ein Junge, mit dem ich in unserem letzten Jahr an der High School zusammen war, und der sich zeitgleich an Allie rangemacht hat.

Und jetzt sind wir zusammen in unserem Studium für die Polizei. Es ist unser erstes Jahr, und obwohl einige Studenten wegen dem Druck die Ausbildung geschmissen haben, haben Allie und ich vor, die 45 Monate durchzuziehen. Es ist anspruchsvoll, das muss ich schon zugeben, aber ich liebe dieses Gefühl der Erschöpfung nach einer Sporteinheit. Einerseits gibt es mir das Gefühl, dass ich mich wirklich verteidigen kann, wenn es drauf ankommt, andererseits aber ist es berauschend, abends im Bett zu liegen und so müde zu sein, dass ich mit offenen Augen einschlafe.


"Also nochmal zum Mitschreiben" sagt Allie gespielt genervt. "Du hast in einem Monat deinen neunzehnten Geburtstag" Weiß ich doch selbst!? "Und es kann sein, dass ich eventuell eine Party geplant habe. Natürlich habe ich nur Emma, Abigail, Hannah, Carter und Will eingeladen." "Und warum habe ich das Gefühl, dass das noch nicht alles war?" "Na ja, eigentlich sollte es eine Überraschung werden, aber da dich kenne und weiß, wie du bist und dass du ewig nachhaken wirst, kann ich es dir auch gleich sagen. Ich habe Arden gefragt, ob er kommen will."

Das ist nicht ihr Ernst!!! "Ist das etwa dein Ernst?" platzt es aus mir heraus. Sie schaut mich verdutzt an. Anscheinend klang es gemein. "Ähm ja. Hör mal, ich weiß, wie sehr du an Liebe auf den ersten Blick glaubst, und auch, wie sehr du dir deinen Traumprinzen auf dem weißen Pferd wünschst, aber sieh’s doch mal positiv: Ich habe dir bisher nur von ihm erzählt, du kennst ihn also eigentlich gar nicht. Was heißt, dass es Liebe auf den ersten Blick sein könnte. Betrachte es mal aus meinen Augen: Das könnte ein riesiges Sprungbrett für deine große Liebe sein. Außerdem würde ich dir nie schaden wollen." Ich schaue sie mit einer Mischung aus Entsetzen und Belustigung an. Gerade, als ich ihr sagen will, dass ich nicht daran interessiert bin, verkuppelt zu werden, schaut mich Allie mit ihrem Hundeblick, dem man einfach nichts ausschlagen kann, an. "Bitte Hope. Tu es für mich." Ich atme tief durch.

"Also gut, aber nur, wenn du das nie wieder tust. Und du wirst auch kein weiteres Blind Date arrangieren. Ansonsten warst du die längste Zeit meine beste Freundin!" Sie verkneift sich ein Lachen: "Ich verspreche es dir." Wir verabschieden uns. Allie gibt jetzt noch Nachhilfestunden für die Schüler der fünften Klasse. Sie war halt schon immer ein sehr engagierter Mensch. Ich steige wieder auf mein Fahrrad und biege um die nächste Ecke. Hier, zu Hause, in Magnolia, ist gerade Frühling, meine Lieblingsjahreszeit. Meine taillenlangen goldenen Haare flattern im warmen Fahrtwind um mich herum. Überall duftet es nach frischem Gras und verschiedenen bunten Blumen, die aus der Erde sprießen. Das Vogelgezwitscher ist wie Musik in meinen Ohren, und irgendwie kommt es mir so vor, als würden selbst die grimmigsten Menschen zu dieser Jahreszeit etwas fröhlicher werden. Frühling bedeutet für mich immer Neuanfang.

Irgendwann fahre ich an meiner Lieblingsstelle vorbei. Hier steht eine große Trauerweide neben einer Bank. Außerdem ist dort ein klarer Teich. Papa und ich haben dort früher geangelt, oder es zumindest versucht, denn nachdem wir nach dem ungefähr zwanzigsten Mal immer noch keinen Fisch oder dergleichen hatten, haben wir beschlossen, uns ein neues Hobby zu suchen. Ein kleines Stück Idylle. Dahinter eine Mauer. Ursprünglich war sie einfach nur als Abgrenzung zum dahinterliegenden Feld gedacht, aber nach und nach haben einige Künstler sie für sich entdeckt. Sie haben angefangen, sie zu bemalen oder mit Graffiti zu experimentieren. Aber insbesondere dieser eine Spruch zieht meine Aufmerksamkeit auf sich: "Liebe ist, wenn ein Kuss nicht nur die Lippen, sondern auch das Herz berührt". Jedes Mal erinnert der Spruch mich an diesen einen großen Wunsch in meinem Leben.

Während ich in meinen Gedanken schwelge, fällt mir leider zu spät auf, dass ich nicht auf die Kreuzung geachtet habe. Ein Blick nach links genügt, um festzustellen, dass Ausweichen zwecklos ist. Ein schwarzer Ford Pick Up reißt mich von meinem Fahrrad. Ich spüre den Aufprall auf die Windschutzscheibe und wie ich anschließend auf die Straße und gefühlt zehn Meter weiter fliege. Falls ich jetzt tot sein sollte, dann habe ich mir das eindeutig angenehmer vorgestellt, schießt es durch meinen Kopf. Der Schmerz in meinem Brustkorb ist mörderisch, aber nichts im Vergleich zu meinem Bein. Ich will meinen Kopf heben, um nachzusehen, ob noch alles dran ist, als mir schwarz vor Augen wird und ich den Kopf lieber wieder schnell senke. Keine gute Idee, Hope! Das war’s dann also mit der Bestandsaufnahme.

Ein großer, dunkler Schatten beugt sich über mich.
"Bist du tot?" Ernsthaft? Ich wurde gerade von einem Monster von Pick Up beinahe zu Mus gefahren, habe mir vermutlich den Schädel gebrochen und alles, was dieser Typ rausbringt, ist ein "Bist du tot"? Ich öffne vorsichtig erst ein Auge, dann das andere. Mein Blick ist verschwommen, aber dennoch: Entweder bin ich doch tot und sehe gerade einen männlichen Engel vor mir, oder ich lebe noch, und dieser Engel holt mich für den Tod ab. Oder es ist die dritte Option: Nur ein total umwerfender Mann, der gerade absolut nicht umwerfend nach meinem Befinden gefragt hat.
Er legt zwei wunderbar warme Finger an meinen Hals. Keine Ahnung, was er da macht, aber er soll auf keinen Fall damit aufhören. Natürlich tut er es doch, und mir wird sofort kälter.

"Kannst du mich hören?" fragt er wieder. "Ja" krächze ich. Wow, Hope, elegant wie eh und je, klingt wie eine Oma, die täglich eine Schachtel Zigaretten raucht und seit zehn Jahren nicht mehr gesprochen hat. Ich versuche mich erneut aufzurichten, doch diesmal werde ich zurück gegen den Boden gedrückt. "Du darfst auf keinen Fall deinen Kopf bewegen. Es könnte sein, dass du dir die Wirbelsäule verletzt hast. Ich rufe einen Krankenwagen." Er kramt in seiner Hosentasche, aber alles, was er nach draußen befördert, ist ein leeres Kaugummipapier. "Mist, ich habe mein Handy vergessen, hast du eins?" "Rech...te…Jack…en…ta…sche". Ich bringe nur abgehackte Worte aus mir heraus. Muss wohl ganz schön schlecht um mich stehen. Er holt vorsichtig mein Handy aus meiner Jackentasche, geht ein paar Schritte beiseite und spricht kurz hinein. Anschließend kommt er zu mir zurück, hockt sich neben mich, gibt mir mein Handy wieder und betrachtet mich.

Zum ersten Mal sehe ich ihn so richtig. Er hat kurze, lockige, dunkelbraune Haare, die ihm in die Stirn fallen. Er schaut ernst, was die scharfen Wangenknochen noch zusätzlich unterstreicht, aber sein Mund lockert das Ganze auf. Kleine Grübchen mit Lachfältchen drum herum lassen ihn jungenhaft aussehen, obwohl er sicher schon zwanzig ist. Aber das mit Abstand Beeindruckendste sind seine Augen. Ich kann nicht sagen, ob sie schwarz oder dunkelbraun sind, aber die roten Punkte darin fallen mir auf. Ich habe das Gefühl, darin zu ertrinken. Er schaut mich etwas verdutzt an. Habe ich etwa gestarrt? Oh Mann, wie peinlich. Immerhin kann ich es, falls er mich fragen sollte, wieso ich so geglotzt habe, auf meine Verletzungen schieben.
"Wie heißt du", will er wissen. Sicher fragt er nicht, weil er sich in eine halbe Leiche verguckt hat. Wahrscheinlich will er eher wissen, wer für den Schaden an seinem Auto aufkommen soll. Kurz bin ich versucht, einen Namen zu erfinden, lasse es dann aber bleiben.
"Hope. Hope McAllister", piepse ich. Er nickt. Warum nickt er? Hat er etwa damit gerechnet, oder kennt er mich vielleicht sogar?

Ich habe keine Zeit mehr, drüber nachzudenken, weil in diesem Moment der Notarzt zu uns eilt, und beginnt, mich zu verarzten. Die Schmerzen übermannen mich und ich falle in ein angenehmes Gefühl der Taubheit. Als ich wieder aufwache, steigt mir der beißende Geruch von Desinfektionsmittel in die Nase. Bin ich in einem Krankenhaus? Aber was... Ich setze mich ruckartig auf, bereue es jedoch im selben Moment. Alles tut weh – angefangen von dem pochenden Schmerz in meinem Kopf über dem Druck auf meinen Rippen bis hin zu meinem seltsam steifen Bein. Was zur... Neben mir schreckt eine Gestalt hoch. Ein heiserer Schrei dringt aus meiner Kehle und dröhnt in meinem Kopf. Ich will gerade um Hilfe schreien, als sich eine große warme Hand beruhigend auf meinen Arm legt. Ich drehe mich vorsichtig und folge dem Arm, der zu einem Mann gehört. Einem großen, muskulösen Mann, der mir irgendwie bekannt vorkommt.

"Guten Abend, Hope. Gut geschlafen?" Auf seinem Gesicht liegt ein leicht schelmisches Grinsen. Dennoch strahlt es Besorgnis aus. Er muss mir meine Verwunderung angesehen haben, denn sein Grinsen weicht einer Unruhe. "Weißt du noch, was passiert ist?" Ich kneife die Augen zusammen. Was auch immer es war, er war daran beteiligt. An seiner Schläfe am Haaransatz prangt eine rote, frisch genähte Wunde. Wie sie wohl dorthin gekommen ist? Gerade, als ich den Mund zum Antworten öffne, vernehme ich das Geräusch einer sich öffnenden Tür. Ich sehe mich langsam um und sehe einen Arzt im weißen Kittel. Der Mann ist ungefähr in Papas Alter und wirkt sehr sympathisch. "So, wie ich sehe, sind Sie schon wach, Miss McAllister. Freut mich zu sehen." Seine Lachfältchen zeugen von einem tollen Leben. Seine nette Miene verfinstert sich jedoch ein wenig, als er zu meinem mir noch immer unbekannten Nachbarn sieht. "Mister Miller. Sind Sie schon wieder oder immer noch da?" Er wartet nicht auf die Antwort. War wohl rhetorisch gemeint, denke ich lahm. "Habe ich Ihnen nicht gestern und sogar schon vorgestern gesagt, dass Sie nach Hause gehen und sich ausruhen sollten? Ich hätte Ihnen schon Bescheid gegeben, sobald Miss McAllister aufgewacht wäre. Aber naja, Sie wären nicht der Erste, der wegen Übermüdung von einem Truck überfahren werden würde." Der Mann, oder vielmehr Mister Miller, erwidert den Blick des Arztes standhaft.

"Nun gut, kommen wir zum ursprünglichen Grund meines Kommens. Wie fühlen Sie sich, Miss McAllister?"
"Nennen Sie mich doch bitte Hope, Doc." Der Doktor nickt lächelnd. "Ich fühle mich irgendwie gerädert. Was ist denn passiert?" "Das wollte ich eigentlich Sie fragen. Können Sie sich an gar nichts erinnern?" Ich schüttle den Kopf, was dieser mich sofort büßen lässt.
"Sie hatten einen Unfall", eröffnet mir der Arzt ruhig. "Sie waren mit dem Fahrrad unterwegs und waren wohl kurz abgelenkt, sodass sie das Auto nicht haben kommen sehen." Wage kann ich mich erinnern. Ich, auf dem Fahrrad, in Gedanken über die Liebe versunken. Wie ich über die Straße fahre und plötzlich auf dem Boden liege. Der Mann, der mich so intensiv gemustert hat und ich ihn. Moment mal. Ist das etwa DER Mann? Mister Miller? Ist er deswegen die ganze Zeit hier gewesen, um aufzupassen, dass ich nicht eventuell mit einer Schiene am Bein und einem zerbrochenen Schädel verschwinde? Nicht etwa, weil er sich Sorgen um mich macht, sondern vielmehr um den Schaden an seinem Auto. Warum tut das dann so weh? Als würde mein Herz sich zusammenziehen. Du bist so doof, Hope, hast du echt gedacht, dass dein Traumprinz in einem schwarzen Pick Up kommt und statt dich zu küssen über den Haufen fährt? Wohl kaum. Da warte ich ja lieber auf den echten Prinzen, den mit dem weißen Pferd, oder zumindest einen wie bei Pretty Woman.

"Hope, können Sie sich noch erinnern?" "Ja" sage ich leise, und meide es, Mister Pick Up in die Augen zu sehen. Das Letzte, was ich jetzt noch brauche, ist eine Standpauke von einem der beiden Männer. Ich hatte eigentlich erwartet, dass der Arzt, der sich übrigens als Professor Doktor Cole vorgestellt hat, mich noch untersucht, um – keine Ahnung – Tests zu machen? Nein, da bin ich doch froh, dass er gleich abgezogen ist. Meine Freude hält jedoch nur eine Minute, dann kommt eine in die Jahre gekommene Krankenschwester mit freundlichem Gesichtsausdruck in den Raum. Sie übernimmt anstelle von Dr. Cole die Untersuchungen. Sie heißt Gabriella, wie meine Mutter. Sie eröffnet mir, dass mein Schienbein und mein Sprunggelenk, wie auch zwei meiner Rippen angebrochen seien und ich eine Gehirnerschütterung habe. Dazu kämen unzählige Prellungen und Kratzer, aber alles in allem muss ich wohl riesiges Glück gehabt haben. Während sie mich dreht, und wendet und hier und da mal drückt und klopft, unterhalten wir uns. Ich erfahre, dass sie drei Kinder hat, die auch unbedingt zur Polizei wollen und grün vor Neid werden würden, wenn sie wüssten, dass ihre Mutter gerade mit einer Polizistin redet. Oder zumindest einer angehenden Polizistin. Gabriella und ich reden eine ganze Weile, bis sie zu ihrem nächsten Patienten muss.

Als sie weg ist, sehe ich mich um. Wo ist Mister Pick Up? Saß er nicht eben noch auf einem Stuhl in der Nähe? Sicher holt er gerade die Polizei und die werden dir eine Stange Geld abnehmen. Großartig gemacht, Hope! In dem Moment öffnet sich meine Zimmertür schon wieder. Bin ich hier in einer verdammten Touri-Info? Oder ist mein Elend etwa nur so nett anzusehen? Aber es ist kein Tourist, sondern, wer auch sonst, Mister Miller. Ich starre ihn entnervt an. Glaubt der etwa immer noch, dass ich mich einfach so aus dem Staub machen könnte? "Hör mal: Ich komme für den Schaden an deinem Auto auf. Ich gebe es dir gerne schriftlich, falls du mir das nicht glaubst. Aber bitte, hör auf, mich zu bewachen, als wäre ich irre oder so." Er scheint erstaunt, sagt aber nichts, sondern schaut mich ruhig an. Er scheint mich förmlich zu studieren. Eine Gänsehaut läuft mir den Rücken hinunter und ich überlege fieberhaft, was ich sagen könnte. Kurz bevor ich überlege, ob ich zum Spiegel rennen sollte, um zu schauen, ob irgendetwas total Komisches in meinem Gesicht ist, sagt er schließlich doch etwas. Jedoch etwas ganz anderes, als ich es eigentlich erwartet habe. "Mit der Polizei habe ich bereits geredet. Ich habe ihnen erzählt, dass ich dich nicht habe kommen sehen und daher nicht mehr rechtzeitig bremsen konnte. Der Arzt meinte, du musstest in so einer Art Starre gewesen sein, weshalb du mich nicht bemerken konntest. Und natürlich musst du den Schaden nicht zahlen. Im Gegenteil. Ich schulde dir eher ein neues Fahrrad."

Er schaut mich schon wieder mit so einem seltsamen Blick an. Reue? Oder eher Mitleid? Ich weiß es nicht. "Warum?", hauche ich. "Du kennst mich doch gar nicht. Warum tust du das für mich? Ich weiß ja noch nicht mal, wie du heißt. Miller, okay, aber so wird dich wohl kaum jemand nennen." "Der Doc hat selbst gesagt, dass dich eigentlich keine Schuld trifft. Ich hätte einfach besser aufpassen müssen." Er schaut verlegen zur Seite. Er scheint einen Beschluss zu fassen. "Ich bin übrigens Cameron, aber nenn" mich Cam." Cam setzt sich auf den Stuhl, auf dem er auch schon vorher gesessen hat. "Danke Cam, wirklich. Ich weiß wirklich nicht, wie das passieren konnte." Weißt du doch!
Nachdem er mir oft genug versichert hat, dass mich keine Schuld trifft und ich ihm mindestens genauso oft meinen Dank und meine Entschuldigung ausgesprochen habe, stelle ich ihm die Frage, die ich schon seit heute Morgen stellen wollte: "Wie lange war ich weg?" "Du meinst, wie lange du deinen Dornröschenschlaf gehalten hast?""Ja." Er schaut auf seine Uhr. "In zehn Minuten sind es zwei Tage und sechs Stunden. Fast schon rekordverdächtig, wenn sie nicht das ganze Zeug in dich "reingepumpt hätten. " Zwei Tage? Hat sich angefühlt, als wären es eher fünf Minuten gewesen. Ich schaue Cam sprachlos an. Er scheint es wohl falsch zu verstehen. "Keine Sorge, mit Zeug meine ich nur Schmerzmittel, nichts weiter." Ich weiß zwar nicht, ob mich das beruhigen soll, aber ich nicke trotzdem. Wir reden eine Weile, über ihn, über mich, über die Welt und was es noch so gibt. "Wegen dem, was Doktor Cole gesagt hat..." Ich überlege unsicher, ob ich das wirklich fragen soll. Naja, was solls?! "Warst du wirklich die komplette Zeit hier? Zwei Tage lang?" Er rutscht auf seinem Stuhl hin und her, als wäre es ihm unangenehm. "Ja, war ich" sagt er dann plötzlich. "Ich habe mir einfach Sorgen um dich gemacht." Er zuckt mit den Schultern, als wäre es nichts Besonderes. Seine letzten Worte lösen bei mir Gefühle aus, die ich vorher noch nie gespürt habe. Als hätte jemand einen Schwarm Schmetterlinge in meinem Bauch ausgesetzt. Es ist ein angenehmes, ein warmes Gefühl.

Weil ich nicht weiß, was ich antworten soll, beschließe ich, in meinen Gesichtsausdruck all meine Dankbarkeit zu legen. Und da ist er wieder, dieser tiefe, eindringliche Blick von Cam. Ich kann nicht anders, ich lasse mich von seinen dunklen Augen verschlingen und suche gleichzeitig Halt an den roten Punkten seiner Iris.
Komplett aus dem Zusammenhang gerissen, stellt er mir die eine Frage, die ich früher immer "meine Frage" genannt habe. "Glaubst du an die Liebe auf den ersten Blick?" Mein Ausdruck muss wohl Bände gesprochen haben, denn er lacht leise in sich hinein. Ich mag Cams Lachen. Es klingt mehr wie das glückliche Glucksen eines kleinen Kindes. Meine Hände zittern, vor Aufregung? Vor lauter Glückshormonen? Schnell schiebe ich sie unter die Decke, um zu verhindern, dass er es sieht. Er scheint wohl nicht mit einer Antwort zu rechnen, weshalb es ihn so überrascht. "Ja, tu ich. Schon mein Leben lang." Seine Augen fangen an, richtig zu leuchten und seine Iris wird noch dunkler, falls das überhaupt noch möglich ist. Mein Bauch zieht sich immer wieder zusammen und auseinander, was ein Gefühl von Schwerelosigkeit hinterlässt. Was soll das? So kenne ich doch meinen eigenen Körper gar nicht.

Einer von Cams Mundwinkeln hebt sich langsam. "Weißt du eigentlich, dass deine Augen sowohl Wiesengrün, als auch Himmelblau sind? Das ist wunderschön, vor allem mit diesem goldenen Haar..." Meine Wangen beginnen zu glühen. Würde ich jetzt neben einer Tomate stehen, ich glaube, ich würde selbst nicht erkennen, wer was ist. Er rückt näher und nimmt eine meiner Haarsträhnen zwischen seine Finger, zwirbelt sie herum. Mein Herz springt mir fast aus der Brust, und dieses Mal weiß ich, was es bedeutet. Als er völlig abrupt aufsteht, falle ich vor Schreck fast aus dem Bett. Doch er hält mich mit seinen starken Amen fest, sodass ich nicht hinunterrollen kann. Gerade will ich mich über seine erste Aktion beschweren und für die zweite bedanken, als er sich zu mir hinunter beugt. Was? Mehr kann ich nicht mehr denken. Seine Lippen berühren meine, aber es ist nicht der Druck seiner Lippen auf meinen, sondern das Gefühl in meinem Herzen. Es springt und tanzt und schlägt Purzelbäume gleichzeitig. Und auch Cams Herz höre ich lauter schlagen, zumindest nehme ich das an, denn mein eigenes schlägt so laut, dass es alles andere übertönt.

Er legt eine Hand seitlich an mein Gesicht, und plötzlich fühlt es sich so an, als würden wir uns seit Ewigkeiten kennen, als wäre er überhaupt der Einzige, für den ich existiere. Es klingt verrückt, aber ich glaube, dass dieser Kuss, dieser wahnsinnig schöne, unvergessliche Kuss, gerade mein komplettes Leben auf den Kopf stellt. Aber noch verrückter ist, dass es mir egal ist.
Als er sich schließlich von mir löst, fühlt es sich an, als würde ein Teil von mir sterben. Als hätte er ihn mitgenommen. Ohne auch nur ein einziges Wort zu sagen, dreht er sich um und geht zur Tür. Dort dreht er sich nochmal kurz um und seine Augen geben mir kurz Luft zum Atmen. Noch immer ist dieses Feuer in ihnen, das ich so gerne weiter erkunden würde. Dafür bleibt jedoch keine Zeit, denn Cam hat sich wieder umgedreht und verlässt das Zimmer, und mit ihm verschwinden auch die Wärme, das Licht und die Luft zum Atmen.

Ich habe weder seine Handynummer, noch eine Adresse, aber was mir bleibt, ist dieser Kuss, ein Kuss, der nicht nur meine Lippen, sondern auch mein Herz berührt hat.

Ressort: Schülertexte

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